September 2001. This report (in German) documents the situation of Rroma post Bosnian conflict and post Dayton agreement. It shows that the situation of refugees and returning refugees is far from good, and that the clauses of Dayton are far from being respected.
in
Bosnien und Herzegowina
Rroma Foundation
September 2001
Bosnien und Herzegowina 1
I. Bosnien Heute 3
1. Allgemeine Situation 3
2. Wohnsituation und Rückkehr 4
3. Wirtschaftliche Situation 5
4. Währung - Kaufkraft 5
5. Gesundheitswesen 5
II. Rroma 6
1. Zur Situation der Rroma während des letzten Krieges und danach 7
2. Situation heute 8
3. Alltägliche Diskriminierung 8
4. Wirtschaftliche Situation 10
5. Rroma Organisationen 10
III. Lage Analyse 11
1. Sarajevo 11
2. Vraca 13
3. Rückkehr nach Doboj? 14
4. Zusammenfassung 15
5. Modrica 16
6. Modricki Lug 18
7. Schule 19
8. Zaghafter Wiederaufbau 19
IV. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen 20
1. Was tut die Schweiz? 21
2. Repatriierungsfrage der Rroma-Flüchtlinge 22
3. Schlussfolgerungen 23
1. Allgemeine Situation
Wenn man die Stadt Sarajevo betritt, deutet heute äusserlich kaum noch etwas dahin, dass hier vor kurzem einen Krieg geführt wurde. Die Altstadt ist schöner denn je, öffentliche Gebäude erstrahlen im neuen Glanz. In den Läden und auf den Märkten ist praktisch alles erhältlich. Auch ausserhalb der Stadt entstehen viele neue Privathäuser. Die Präsenz der Internationalen SFOR-Truppen hat abgenommen, und an den innerbosnischen Grenzen werden praktisch keine Kontrollen mehr gemacht. 6 Jahren nach Dayton scheint sich die Lage in Bosnien und Herzegowina endlich zu normalisieren.
Doch der Schein trügt: Bosnien-Herzegowina ist noch lange nicht ein normal funktionierenden Staat. Der Riss zwischen den verschiedenen Volksgemeinschaften ist immer noch tief und die Gefahr des Zerfalls des ganzen bosnischen Staates ist nicht gebannt. Dies belegen u. a. die Wahlen vom letzten April. Während die etwas moderateren Sozialdemokraten in den Städten Tuzla, Zenica und Gorazde gewonnen haben, blieben die Serben und Kroaten ihren nationalistischen Parteien treu. Die Ereignisse in Mostar (Geiselnahme von westlichen Funktionären) und Banja Luka (Verhinderung des Wiederaufbaues der Moschee) in diesem Frühjahr zeigten auf, welch gewaltvolles Potential noch vorhanden ist.[1] Mit der Verhaftung von Milosevic und dem erhöhten Druck des Westens, Kriegsverbrecher im Land festzunehmen, ist das Grundproblem Bosniens nicht gelöst. Ebensowenig ist die Wahl der Reformer in einzelnen Teilen des Landes ein Zeichen von demokratischer Reife.[2], Vielmehr erklärt diese sich aus der balkanischen Gewohnheit, die Stimme denjenigen zu geben, die die stärkste Präsenz zeigen. Das bosnische Dilemma spielt sich nicht nur zwischen Nationalisten auf der einen und „Nichtnationalisten“ auf der anderen Seite ab, sondern auch zwischen drei nationalen Gemeinschaften, von denen jede eine andere Verfassung hat. In allen drei Volksgruppen gibt es Scharfmacher, die noch heute von ethnisch-religiös „reinen“ Gebiete träumen.
Neben diesen drei Gruppen werden die seit sechs Jahrhunderten in Bosnien ansässigen Rroma immer wieder vergessen. Während Serben, Kroaten und Bosniaken (Muslime) die gleiche Muttersprache haben, sprechen die Rroma neben dem Serbokroatischen, ihre eigene Muttersprache, das Rromanes.
2. Wohnsituation und Rückkehr
Der wichtigste und zentrale Teil des Dayton-Friedensabkommens, Annex VII, mit dem allen Flüchtlingen und umgesiedelten Personen gestattet wird, in ihren Vorkriegswohnort zurückzukehren, ist bisher nicht implementiert worden.
Heute sind noch gut 870‘000 Vertriebene im Land. Von ihnen leben in der Föderation 533'707 Personen (60%), und 340'000 Personen (40%) im heutigen Gebiet der Republika Srpska.[3] Bei der Rückkehr von Vertriebenen und Flüchtlingen gibt es nur wenige Erfolge. Bis heute sind gerade nur 56 Bosniaken nach Srebrenica zurückgekehrt. Im Allgemeinen sind es ältere Leute, die zurückkehren. Ihre Rückkehr beschränkt sich jedoch meist auf Dörfer in Stadtnähe.
In erster Linie ist es die Angst vor Vergeltung, die die jüngeren Leute daran hindert, zurückzukehren. Dies ist dementsprechend der schwierigste Punkt des Dayton-Abkommens: Die Sicherheit ist nicht gewährleistet! Am 11. Juli 2001 wurde in der Ortschaft Dzamdzici, Republika Srpska, das 16jährige bosniakische Mädchen Meliha Duric in ihrer Wohnung erschossen. Die Familie ist erst vor kurzem zurückgekehrt. Seit Mai dieses Jahres ist dies bereits die zweite Attacke gegen eine Rückkehrfamilie in der Region von Vlasenica (50 km nordwestlich von Srebrenica).[4] Viele weitere Fälle sind dokumentiert.
Zum zögerlichen Rückkehrwillen kommt die Perspektivenlosigkeit für Ausbildung und Arbeitsuche in der Republika Srbska. Ein weiterer Aspekt ist die Eigentumsfrage. Oft ist es sehr schwierig, nachzuweisen, wem was gehört hat und auch bei der Anmeldung bestehen mancherorts hohe Hürden. Tatsache ist, dass es immer noch Gemeinden gibt, die den Rückkehrern den Aufenthalt in den ehemaligen Wohnorten de facto verweigern. Die Häuser der Vertriebenen in der Republika Srpska sind oft zerstört, und die Hilfsprogramme für deren Aufbau reichen nicht aus.
Viele Wohnungen und Häuser der ehemals serbischen Besitzer in der Föderation, die vielfach jetzt von Bosniaken und Rroma bewohnt sind, werden zwangsgeräumt. Dabei geht es jedoch nicht darum, dass die ehemaligen Besitzer nach Hause kommen, sondern dass die Behausungen wieder hergestellt und später verkauft werden können. Ehemalige Besitzer von besetzten Häusern in der Republika Srpska. können aber kaum zurück, da die jetzigen Hausbewohner immer noch auf den Schutz der serbischen Behörden zählen können. Andere Volksgruppen sind schlicht nicht erwünscht.
3. Wirtschaftliche Situation
Zusätzlich zu den anderen Faktoren gefährdet die katastrophale Wirtschaftslage die Stabilisierung der Regionen in Bosnien und Herzegowina. Im Jahre 2000 betrug die Arbeitslosenrate in der Föderation 39,4 % und in der Republika Srpska 40,1 %. In diesem Jahr wird mit einem Anstieg von 1 – 3 % gerechnet und im nächsten Jahr nochmals soviel.[5] Die Dunkelziffer indessen ist viel höher. Viele Firmen sind im Zuge der Privatisierung während des nächsten Jahres gezwungen, Hunderte von Mitarbeiter zu entlassen. Schon jetzt stehen viele Arbeitnehmer auf einer Warteliste und erhalten pro Monat einen symbolischen Lohn von umgerechnet DM 5.-. Dienstleistung und Handel funktionieren zwar, doch Produktion und Exporte fehlen weitgehend.[6]
4. Währung - Kaufkraft
Seit Mitte 1998 ist in Bosnien-Herzegowina die Konvertiblna Marka (KM) gültig, die im Land offiziell 1 zu 1 zur Deutschen Mark umgerechnet wird.[7]
Die Lebenskosten sind in Bosnien-Herzegowina recht hoch. Da die Eigenproduktion dem Nullpunkt nahe ist, muss von Hygieneartikeln bis Süssigkeiten alles eingeführt werden (vorwiegend aus Deutschland und Kroatien). Dementsprechend hoch sind die Preise.
Während 1 kg Brot zwischen KM -.50 und 1.- kostet, muss beispielsweise für 1,5 Liter Cola bis zu KM 3.- bezahlt werden. Relativ günstig ist im Sommer das Gemüse und Obst, 1kg Tomaten kosten ca KM 4.-.
Hoch sind auch die Benzinpreise: Diesel KM 1.35, Bleifrei KM 1.60, Super KM 1.65.
Der Durchschnittslohn eines Arbeitnehmers beträgt ca. KM 400.- pro Monat. Eine staatliche Sozialversicherung gibt es nicht und alles ist nur gegen Geld erhältlich. Die Elektrizität kostet etwa KM 40.- bis KM 100.- pro Monat, der Wassserverbrauch kann sich bis zu KM 500.- im Jahr belaufen. Holz brauchen die meisten Menschen zum Kochen, im Winter auch zum Heizen. 1 Ster Holz kostet KM 50.-. Dabei bleibt einem Arbeiter wenig übrig. Was bedeutet dies erst für einen Arbeitslosen? Er ist auf Hilfe Anderer angewiesen und wird zum Bettler.
5. Gesundheitswesen
Das Gesundheitswesen in Bosnien-Herzegowina kann man nicht mit westlichen Massstäben messen. Vieles ist veraltet, und es fehlt an gut ausgebildetem Fachpersonal. Medikamente sind zwar genügend vorhanden, doch sämtliche Gesundheitskosten müssen von den Patienten selber bezahlt werden. Nur einige Rentner, die weniger als KM 115.- Rente haben, erhalten einige Vergünstigungen. Diese Vergünstigungen sind jedoch höchstens 10 % vom Normalpreis. Sogar Arbeitnehmer, deren Arbeitgeber die Krankenversicherungskosten regelmässig bezahlen, müssen einen hohen Anteil der Kosten selber tragen. Das Rentnerehepaar B. aus Semisovac bei Sarajewo beispielsweise sollte regelmässig zum Arzt. Der Ehemann leidet an Diabetes und die Ehefrau ist herzkrank. Doch ist es für sie nicht möglich die Arztkosten zu übernehmen. Nur schon eine Untersuchung von Frau B. kostete im Bezirkspital Sarajewo KM 350.-. Die Kosten der Medikamente belaufen sich auf mehr als KM 50.-. Für die nötige Operation müsste die Patientin KM 3'000.- bezahlen, was für sie unmöglich ist. Obwohl die Eheleute Rentenbezüger sind, werden ihre Renten nicht regelmässig ausbezahlt.
Ein weiteres Problem bilden die zahlreichen traumatisierten Menschen in Bosnien-Herzegowina. Nur ein kleiner Anteil hat die Möglichkeit, sich behandeln zu lassen. Sicher gibt es in den Regionen von Tuzla, Sarajevo und Zenica einige wenige Zentren für psychische Krankheiten (Psychiatrische Klinik Tuzla, Psychologisches Zentrum Tuzla, Krisenzentrum Tuzla, Klinik Sarajevo, Trauma-Zentrum Sarajevo), doch sind diese komplett ausgebucht und können keine weiteren Patienten mehr aufnehmen. Des weiteren ist das Personal dieser Kliniken und Zentren total überfordert und schlecht ausgebildet für Kriseninterventionen.
Jasna Zecevic ist Vorsitzende von „Vive Zene“, einem Therapiezentrum für traumatisierte Frauen und Kinder in Tuzla. In diesem kleinen Zentrum können gerade nur 12 Patienten intensiv behandelt werden. Laut Frau Zecevic bestehen für psychisch erkrankte Rückkehrer noch zusätzliche Probleme: Neben der Verarbeitung der Kriegstraumata werden sie von der Unterkunftssuche enorm belastet.[8]
Rroma leben schon lange in Bosnien. Erste Erwähnungen gehen auf das 15. Jahrhundert zurück, die Zeit des Osmanischen Reiches. Genaue Zahlen, wie beispielsweise im Kosovo, gibt es nicht. Das ganze Gebiet von Bosnien und Herzegowina war Militär- und Pufferzone zwischen den damaligen Grossmächten. Die Rroma haben für die Armee gearbeitet (Schmiede, Pflege der Pferde, Musiker, etc.). Gut 70 % waren Muslime und rund 30 % orthodoxe Christen. Im 16. Und 17. Jahrhundert ist eine zweite Gruppe von Rroma, die Gurbeti (Vlax) ins Gebiet eingewandert. Ursprünglich waren sie Fahrende, doch haben sie sich relativ rasch in Bosnien niedergelassen. Bis heute sind sie sesshaft geblieben.
Unter osmanischer Herrschaft mussten die Rroma Sondersteuern bezahlen. Wie Christen und Juden mussten sie die christliche Kopfsteuer bezahlen, selbst wenn sie Muslime waren. Ansonsten wurden Rroma bis zum Zerfall des Osmanischen Reiches nicht speziell diskriminiert. Während der serbischen Unabhängigkeit und der Besetzung durch die Österreicher mussten die Rroma aber immer wieder ihre Namen ändern. Die Serben zwangen die Rroma "gute" Serben und Ortodoxe zu werden.
Im Zweiten Weltkrieg wurden die Rroma sowohl von den Cetniks wie auch von den Ustaschas umgebracht. Die kroatischen Ustaschas vernichteten gemeinsam mit den Nazis systematisch alle Rroma. Das grösste Konzentrationslager auf dem Balkan war Jasenovac in Kroatien. Nur gerade 50 kroatische Rroma überlebten das Massaker. Die heute in Kroatien lebenden Rroma sind praktische alle erst nach dem Krieg als neue Arbeitskräfte ins Land gekommen. "Echte" kroatische Rroma findet man nur noch in Italien, wohin sie während des Krieges geflohen sind, oder in Slowenien.
Auch von den bosnischen Rroma ist ein hoher Prozentsatz während der Naziherrschaft umgekommen. Sogar kommunistische Partisanen scheuten sich nicht, die Rroma zu töten.
In Bosnien und Herzegowina haben 45 Holocaust-Überlebende einen Antrag auf Entschädigung gestellt.[9]
1. Zur Situation der Rroma während des letzten Krieges und danach
Während des bosnischen Dramas wurde über die spezielle Lage der Rroma kaum gesprochen. In den vielen Berichten wurden sie höchstens unter der Rubrik „und andere...“ erwähnt. Doch schon bei Kriegsbeginn wurden die Rroma von allen Kriegführenden als minderwertige Menschengruppe betrachtet und entsprechend mitleidlos behandelt. Ihr Anteil an den Kriegsopfern ist entsprechend sehr hoch. Denn selbst wenn sie Muslime, orthodox oder katholisch waren, so gehörten sie weder zu den Bosniaken noch Serben oder Kroaten. Viele Rroma wurden zwangsweise in die jeweiligen Armeen der einzelnen ethnischen Gruppen rekrutiert. Rroma wurden auch in Gefangenenlagern festgehalten und aufs grausamste gefoltert und umgebracht. Vielfach mussten Rroma Zwangsarbeiten ausführen, wie beispielsweise die Aushebung der Gräber und die Bestattungen der Toten.
Die Rroma standen zwischen allen Fronten. Es ist bezeichnend, dass die Kriegsparteien explizit auch Rroma-Wohnviertel angegriffen haben und die Praktiken der sogenannten „ethnischen Säuberungen“ an ihnen verübt haben.
Nach Beendigung der Kämpfe und dem Abschluss des Dayton-Abkommens war die Anzahl der Rroma unter den Vertriebenen und Flüchtlingen gross. Der grösste Teil stammte aus dem heutigen Gebiet der Republika Srpska und lebt heute in der Föderation oder im Ausland.
Rroma erzählen immer wieder, dass sie nach dem Krieg immer benachteiligt worden sind. Obwohl die meisten auf muslimischer Seite kämpften, konnten sie nie die gleichen Ansprüche auf Kriegsrente geltend machen, wie die Bosniaken. Viele gingen leer aus. Auch die internationale Humanitäre Hilfe wurde den Rroma-Familien vorenthalten, weil sie keine echte Muslime seien. Eine Rromni berichtete, dass sie einmal einen Imam um Essen für ihre Kinder gebeten hatte. Der Gottesmann verlangte darauf, dass die Frau aus dem Koran zitieren sollte. Da sie dies nicht konnte, wurde ihr die Hilfe verweigert.
2. Situation heute
Leider hat sich die Situation der Rroma in Bosnien-Herzegowina nicht verbessert, im Gegenteil. Der ehemalige multi-ethnischer Staat Bosnien-Herzegowina definiert sich meist immer noch nach Volkszugehörigkeit, die in drei Hauptgruppen (Muslime, Serben, Kroaten) eingeteilt sind. Die Rroma sind weder in der Föderation noch in der Republika Srbska als eine ethnische oder nationale Minderheit anerkannt. Sie fallen unter der Kategorie der „anderen“ und offizielle Zahlen gehen von rund 5'000 Rroma in Bosnien-Herzegowina aus. Unabhängige Rroma-Organisationen schätzen jedoch, dass etwa 80'000 Rroma im Land leben. Wir gehen davon aus, dass es sich etwa um 40 bis 50'000 Personen handelt.
Die „ethnisch ausgerichtete Aufteilung“ Bosnien-Herzegowinas macht die Rroma zur „unerwünschte Minderheit“. In diesem Zusammenhang werden die Rroma, egal wohin sie zurückkehren, nur eine geduldete, wenn nicht gar ausgegrenzte Minderheit sein.[10]
3. Alltägliche Diskriminierung
Durch ihre dunklere Hautfarbe fallen die Rroma im überwiegend weissen Bosnien auf. Obwohl sich vor dem Krieg in Bosnien-Herzegowina viele Rroma als Jugoslawen deklariert hatten und noch heute gut 80 % Muslime sind, weiss man in der bosnischen Gesellschaft, wer zu den „Zigeunern“ gehört. Dies ist nicht nur auf die äussere Erscheinung zurückzuführen sondern auch auf bestimmte Wohngegenden, wo praktisch nur Rroma lebten und noch heute teilweise leben.
Es gibt in der Föderation keine offizielle Unterdrückung. Doch die Rroma werden ignoriert und sind den Behörden gleichgültig. Sie haben keinen Zugang zu öffentlichen Institutionen. Dazu kommt, dass Rroma ihre legale Ansprüche nicht geltend machen können. Dies kommt einer faktischen Ausgrenzung gleich. In Gesprächen war immer wieder zu hören, dass Rroma abgewiesen werden mit dem Hinweis, sich an die eigenen Organisationen zu wenden. Dort könnten sie Hilfe erwarten. Mit rassistischen Bemerkungen und verbale Beleidigungen werden zudem die Rroma auf behördlichen Stellen nicht ernst genommen.
Auch bei der Vergabe der knappen Ressourcen von Arbeitsplätzen, Wohnungen und Bildungsmöglichkeiten hat diese Volksgruppe keine Chance etwas davon zu erhalten.
Immer wieder war auch von unbegründeten Polizeikontrollen zu hören. Es reicht nur einen dunklerer Teint, um von den Polizei angehalten zu werden. Schnell wird der Betroffene verdächtigt, illegale Tätigkeiten zu machen und zwecks Kontrolle muss der Verdächtigte auf den Polizeiposten kommen. Was danach passiert, so fehlt jegliche Kontrolle über die Geschehnisse in Polizeigewahrsam. In dieser Zeit ist den Beamten jede Möglichkeit gegeben gegen die Rroma vorzugehen, ohne dass die Öffentlichkeit je davon erfährt. Vor allem junge Rroma-Frauen sind der sexuellen Belästigungen, das sogar bis zur Vergewaltigung gehen kann, ausgesetzt. Den meist mittellosen Rroma nützt nichts, auf eine höhere Stelle zu gehen um Anzeige zu erstatten. Schnell werden sie abgewiesen und falls es doch einmal zu einer Untersuchung gegen einen fehlbaren Beamten kommt, wird diese nach kurze Zeit wieder eingestellt. Sicher bestehen rechtsstaatliche Grundlagen auf dem Papier, doch werden diese in der Praxis kaum umgesetzt.
Nur wer Geld hat, kann seine Rechte in Bosnien einfordern. Im Allgemeinen ist zu sagen, dass die bosnische Polizei noch wenig Sensibilität in Sachen Rechtsstaatlichkeit hat und gegenüber den enormen aktuellen Problemen völlig überfordert ist.
Diskriminierung und Ausgrenzung gegen Rroma gehen in der Republika Srbska noch weiter. So haben sich Rroma aus verschiedene Teilen der serbischen Republik gemeldet und erzählt, dass sie während dem Krieg serbische Namen annehmen mussten, um nicht getötet zu werden.[11] Auch ein jetzt kürzlich nach Bijelina zurückgekehrter Rrom kann seine Tochter nur unter serbischer Identität in die Schule schicken. Ehemals wohlhabende Rroma können nicht an ihre ehemaligen Häusern zurück, weil die serbischen Behörden die Häuser beschlagnahmt hatten. In Bijelina, wo es vor dem Krieg eine grosse Rroma-Population hatte, wurde sogar in einem Haus eines Rroma eine Firma einquartiert. Der ehemalige Besitzer vegetiert zur Zeit in einer Baracke unweit seines Hauses.[12]
Obwohl von allen Seiten eine verbale Gleichstellung der Rroma angekündigt ist, kann davon niemals die Rede sein. Sogar die internationalen Organisationen zeigen eine Gleichgültigkeit zu diesem Thema. Diese beruhen entweder auf die Unkenntnis der Lage vor Ort oder auf den Unwillen, den realen Verhältnissen gerecht zu werden.[13] 1999 wusste beispielsweise das UN-Flüchtlingshilfswerk immer noch nicht, ob die Rroma Migranten oder Flüchtlingen seien. Der Unterschied entscheidet mit darüber, ob die Weltorganisation ihnen hilft oder nicht.[14]
4. Wirtschaftliche Situation
Vor dem Krieg arbeiteten viele Rroma in den anderen Teilen Ex-Jugoslawiens, meist in der Landwirtschaft oder in Fabriken oder Stahlminen. Durch die neuen Staatsgrenzen und Aufenthaltsbedingungen ist ihnen der Weg dorthin versperrt. Auch die traditionelle, überregionale Handelstätigkeiten beschränken sich heute nur noch auf Ungarn und der Türkei, da in den westlichen Ländern Visa-Pflicht besteht. Vor noch gut zwei Jahren versuchten sich Rroma im Kleiderhandel zu etablieren. Dies haben viele aufgeben müssen, da es auf den Märkten einen Überfluss von Billig-Kleidern gibt und die Bosniaken Vorrang haben, eine Verkaufsbewilligung zu erhalten. Diejenige Rroma, die eine Bewilligung erhalten konnten, können ihre Produkte nur am Markteingang verkaufen. Ihre Anzahl ist so gering, dass man sie an einer Hand abzählen kann. Die meisten Rroma erhalten keine Bewilligung. Um zu überleben versuchen sie auch ohne Papiere ihre Waren auf den Märkten zu verkaufen, mit der Gefahr, dass sie erwischt und ihre Produkte konfisziert werden. Auch in anderen Berufen, die früher eine der Rroma-Tätigkeit in der Region war, wie zum Beispiel Altmetall sammeln oder andere Handelsberufe, muss nun mit einer breiten Konkurrenz seitens der Mehrheitsbevölkerung gerechnet werden. Die Verarmung ist überall ersichtlich. Diese ist nicht förderlich für die Überwindung des Nationalismus. Die Gefahr von Apartheid gegenüber Rroma ist immer offensichtlicher. In der Industriestadt Tuzla wurden zuerst Rroma-Angestellte auf die Warteliste gesetzt und damit de facto gekündigt. Neue Arbeitkräfte werden oft auf Kosten der Rroma eingestellt In einer Umfrage von März 2000 hatten von 206 Familien, die in der Region Tuzla wohnen, gerade deren 18 eine reguläre Arbeit.[15]
Die neueren Entwicklungen weisen darauf hin, dass den Rroma praktisch alle Lebensgrundlagen entzogen werden. Es ist daher nicht verwunderlich, dass auch ehemalige wohlhabende Rroma betteln gehen müssen und sich so den gängigen Vorurteilen der Mehrheitsbevölkerung aussetzen. Dies führt zu einer sozialen Umschichtungsprozess, die von neuen Ausgrenzungsstrategien begleitet sind.
5. Rroma Organisationen
Auf Initiative der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) wurde 1997 die Union Roma Bosnien-Herzegowina gegründet. Sie bildet eine Dachorganisation der Rroma in Bosnien-Herzegowina und versucht die verschiedenen Anliegen der unzähligen kleinen Rroma-Vereine im Land zu koordinieren. Dies funktioniert nur teilweise. Vor dem Krieg hatten sich die Rroma kaum organisiert. Familien- und Gruppenzugehörigkeit waren ausschlaggebend. Erst seit 1995 wurden die ersten Rroma-Vereine gebildet. Ihr Tätigkeitsbereich ist jedoch sehr eng begrenzt und auf die lokalen Gegebenheiten beschränkt. Bis heute sind sie schwach organisiert und nicht miteinander vernetzt. Hinzu kommt ein Konkurrenzdenken, was die Arbeit zusätzlich erschwert. Die Skepsis gegenüber den anderen Organisationen ist sehr gross. Es ist ihnen jedoch keinen Vorwurf zu machen, zu sehr kämpft jeder mit seinen Alltagsproblemen und um sein Überleben. Neben finanziellen Mitteln fehlt es den Rroma-Vertretern schlicht an Bildung und Erfahrung in diesem Bereich. Auch für übergeordnete Interessen fehlt es am Know how. Zudem verlieren etliche Rroma-Vertreter auch an Kraft, weil sie von offizieller Seite kaum ernst genommen werden. Kürzlich hat ein Rroma-Sprecher beim Schweizer Botschafter vorgesprochen. Noch vor drei Jahren sei er voller Selbstbewusstsein und Elan gewesen, jetzt sei er durch die wirtschaftliche Misere und durch Gesundheitsprobleme vollig ruiniert.[16]
Immer wieder ist auch von Korruptionsvorwürfe innerhalb von Hilfsorganisationen zu hören. Dies ist ab und zu auch bei Rroma-Organisationen der Fall. So hatte zum Beispiel ein „anerkannter“ Rroma-Präsident Geld gesammelt und versprochen, dass die Familien Anspruch auf humanitäre Hilfe hätten.
Dies weist darauf hin, dass in Bosnien-Herzegowina den Rroma nur zugestanden wird, Vereine zu gründen zwecks Pflege und Wahrung ihrer kulturelle Identität. Allenfalls haben sie die Möglichkeit einen Vertreter in den örtlichen Ortsgemeinschaften zu senden. Dies garantiert jedoch noch lange nicht, dass die Rroma als Minderheit anerkannt sind. Vielfach haben diese Rroma-Vertreter nur Alibifunktion, damit die Regierungen, sowohl in Bosnien und Hercegowina wie auch im Ausland, zeigen können, sie machen etwas für Rroma. Die Gleichstellung ist nur auf dem Papier festgehalten, die Praxis zeigt jedoch eine faktische Ausgrenzung der Rroma in Bosnien-Herzegowina.[17]
1. Sarajevo
Wie viele Rroma in Sarajevo leben ist nicht bekannt. Es gibt keine konkreten Zahlen oder Statistiken. Man kann sie grob in drei Gruppen unterscheiden. Die erste Gruppe bilden die alteingesessenen Rroma von Sarajevo. Die bekannteste Siedlung ist Gorica, ein Hügel oberhalb Sarajevos, nicht weit vom Stadtzentrum entfernt. Schon vor 200 Jahren lebten dort Rroma. Durch Krieg und Flucht sind viele Häuser zerstört oder zerfallen. Obwohl es diesen Rroma etwas besser geht, als den andern, sind auch sie nicht sicher, ob sie bleiben können oder nicht. Ein italienisches Projekt sah vor, die Häuser wieder aufzubauen und zudem neue Strom- und Gasleitungen zu legen. Doch weigert sich die Stadtregierung, dieses Vorhaben zu unterstützen, da sie auf diesem Gebiet ein neues Sportzentrum planen.
Die zweite Gruppe bilden die Rroma, die während und nach dem Krieg aus dem heutigen Gebiet der Republika Srpska geflohen sind. Niemand kümmert sich um sie. Sie erhalten keine Hilfe und leben meist in fremden (serbischen) Wohnungen oder Häuser. Unter ihnen gibt es viele Lagerinsassen. In letzter Zeit ist es vermehrt zu Zwangsräumungen gekommen. Der grösste Teil kann jedoch nicht in die ursprüngliche Heimatorte zurückkehren, da in ihren Häuser Serben wohnen oder sich dort sogar öffentliche Institutionen niedergelassen haben. Einmal mehr zeigt sich, dass die Rechte sehr unterschiedlich ausgelegt werden: Kaum ein Serbe kehrt zurück, ihr Besitz ist zum Verkauf ausgeschrieben. Meist zerfallen sie noch mehr, da Käufer rar sind. Tatsache ist aber, dass die Behörden bei Zwangsräumungen gegen Rroma besonders brutal vorgehen.
Als Alternative für die Vertriebenen bleibt dann nur nach das „Dom Pensionera“, das ehemalige Altersheim von Sarajevo. Das Gebäude befindet sich auf dem Weg vom Flughafen in die Innenstadt. Das mehrstöckige Gebäude ist praktisch ausgebombt. Das Wohnen in dieser riesige Ruine kann lebensgefährlich sein. Trotzdem haben sich mehr als 60 vertriebene Rroma-Familien einquartiert. Nicht weit davon befindet sich das UNO Hauptgebäude. Absolut niemand kümmert sich um diese Menschen und es werden immer mehr.
Die dritte Gruppe der Rroma schliesslich stammt aus dem Kosovo. 1999 sind sie vor den Gräuel der Albaner geflohen. Ein Teil lebt in Kollektivzentren, der andere ist privat bei Verwandten untergebracht. Ihr Schicksal ist ähnlich prekär wie bei den andern Gruppen. Aus Angst vor Abschiebung in den Kosovo haben sich viele nicht angemeldet und leben ebenfalls in Ruinen.
Die Lage hat sich für alle Betroffenen verschlechtert. Nur ein sehr geringer Teil der Rroma hat eine ständige Einnahmequelle. Wegen den schlechten Umständen können viele Rroma Kinder den Schulunterricht nicht besuchen. Neben den enormen Schulkosten, berichten betroffene Familien von gezielter Ausgrenzung während des Unterrichts. Auf dem Pausenplatz würden die wenigen dunkelhäutigen Kinder gemieden oder sogar verprügelt. Dies hielte die Eltern davon ab, ihre Kinder zur Schule zu schicken..
Statt dessen sind viele Rroma-Kindern im Zentrum von Sarajevo beim Betteln zu sehen: die einzige Einnahmequelle der Familien. Ein neues Gesetz wurde verabschiedet, worin es der Polizei erlaubt ist, bettelnde Familien abzuführen und zwecks Umerziehung für sieben Tagen in Heimen fest zu halten.[18] Diejenigen, die nicht aus dem Kanton Sarajevo stammen, können ausgewiesen werden.
2. Vraca
In Vraca, am Stadtrand von Sarajevo, leben Rroma-Flüchtlinge aus der Republika Srpska und Kosovo in verlassenen serbischen Häusern. Vor einem Jahr lebten 52 Familien in 64 Häusern. Die Familien haben keine richtige Arbeitsmöglichkeiten. Sie betteln, sammeln Altmetall und versuchen dies zu verkaufen. Im Abfall wird nach Brauchbarem gesucht, das wieder verwendet werden kann. Die ehemals eher vornehme Gegend ist heruntergekommen und grenzt gleich zur Republika Srpska. Noch im Oktober 2000 wurde eine Mine entdeckt. Kinder wollten mit dieser gefährliche Waffe spielen. Eine zufällig vorbeikommende SFOR-Truppe konnte sie gerade noch rechtzeitig entschärfen. Nie wurden während des Krieges Minenkarten erstellt.
Zwangsräumungen haben bereits statt gefunden, doch kein Serbe kehrt zurück. Die Häuser sind zum Verkauf ausgeschrieben. Das Schicksal der Rroma interessiert Keinen.
Am 9. Februar 2001 haben sich 18 Familien aus Doboj zusammen getan und an die Stadtverwaltung von Novo Sarajevo einen Brief geschrieben. Alle haben die Wegweisung erhalten. In ihrem Schreiben baten sie die Behörden um Hilfe, eine andere Bleibe zu finden. Nach Doboj können vor allem die Jüngeren nicht zurückkehren, nicht nur wegen den unklaren Besitzverhältnisse und zerstörten Häusern, sondern auch aus Angst, die ehemaligen Folterer und Mörder wieder zu treffen. Die Gefahr der Vergeltungen ist gross und noch lange nicht aufgearbeitet.
Die Rroma haben nie eine Antwort auf ihren Anfrage erhalten. In der Zwischenzeit mussten bereits fünf Familien weiterziehen. Der 62jährige Ibrahim O. schilderte, dass am 5 März 2001 am frühen Morgen 7 Polizeibeamten erschienen seien und die 11köpfige Familie aufgefordert habe, sofort das Haus zu räumen. Fünf Familienmitglieder haben eine vorläufige Bleibe im Nachbarhaus gefunden. Drei weitere Familienangehörigen flohen ins Ausland. Das ältere Ehepaar blieb mit Hab und Gut auf der Strasse. Die 61jährige Jasmina O. reklamierte darauf direkt im Büro des Gesandten für Bosnien-Herzegowina, Wolfgang Petritsch (OHR). Auf Druck des Internationalen Büros konnten die Eheleute nach Doboj zurückkehren. Dort leben sie nun in ihrer ehemaligen, jetzt kaputten Wohnung ohne jegliche Hilfe und mit der Angst, in der Nacht überfallen zu werden.
Auch die Rroma in Vraca leben mit der Angst. Jeden Tag können sie aus den Häusern vertrieben werden. Die nächste Bleibe wäre das „Dom Pensiera“, wo bereits über 60 Rroma Familien leben. Der 8köpfigen Familie I. graut diese Vorstellung und doch haben sie keine andere Wahl. Im Sommer 2000 musste die Familie die Schweiz verlassen. In der Urteilsbegründung der Asylrekurskommission (ARK) hiess es, dass die abgewiesene Asylbewerber auf die Unterstützung des Familiennetzes zählen könnte. Die Angehörigen waren jedoch nie in der Lage, die Rückkehrer bei sich aufzunehmen. Familie I bewohnt zur Zeit ein Zimmer im Untergeschoss eines serbischen Hauses. Die Ausweisungspapiere haben sie schon in der Hand. In „Altersheim“ erwartet sie eine noch grössere apathische Stimmung. Alkoholmissbrauch und Schlägereien sind dort an der Tagesordnung. Doch zieht die Familie diesen Ort vor, denn die Angst nach Doboj zurückzukehren ist noch viel grösser. Immer wieder träumen die Kinder von der Schweiz. Die deutsche Sprache haben sie nicht verlernt. Sie dient ihnen als Kommunikationssprache untereinander.
3. Rückkehr nach Doboj?
Auf dem Gebiet der heutigen Republka Srpska haben vor dem Krieg die meisten Rroma gelebt. Viele Rroma lebten in Bijelijna, Doboj, Srebrenica, Modrica und Banja Luka. Zusammen mit Bosniaken und Kroaten wurden sie aus diesen Gebiete vertrieben.
Die Stadt Doboj in der Republika Srpska ist gut zu 30% zerstört. Meist sind es die Häuser von Bosniaken, Kroaten und Rroma, die nach der Vertreibung kaputt gemacht wurden. Die Innenstadt selber ist praktisch unversehrt. In Doboj fanden schwere Kriegsverbrechen statt. 1992 wurden ganze Quartiere in Gefangenenlager umgewandelt. Eines davon war mitten im Zentrum, an der Mladerna Stojanevica – BB – gleich neben dem Fussballstadion. Hier lebten vor dem Krieg vorwiegend Rroma. Sie haben für den Boden bezahlt und wie es früher in Bosnien üblich war, mit Fachkräften insgesamt 6 Häuser aufgebaut. Bis zu 50 Rroma wurden dort über ein Jahr festgehalten, misshandelt und getötet. Heute erinnert nichts mehr daran, was noch vor kurzem hier Schreckliches statt gefunden hatte. Nicht einmal Ruinen sind erkennbar, alles ist dem Erdboden gleich gemacht worden und ist jetzt durch Gebüsch überwuchert.
Laut dem Dayton Abkommen wäre es möglich zurückzukehren. Die vertriebene Rroma aus Doboj müssten jedoch der Gemeinde Doboj 3'000 bis 5'000 DM für das Grundstück, wo sich ihr zerstörtes Haus befindet, zahlen. Ein weiterer Punkt ist, dass die Sicherheit nicht gewährleistet ist.
Die Rroma von der Mladerna Stojanevica leben heute alle im Ausland. Zwei Familien haben in Dänemark und Australien Asyl erhalten. Der Rest befindet sich in der Schweiz als Asylbewerber.
Auf Anfrage, ob sie das Recht haben dorthin zurückzukehren, erklärte die Stadtbehörde, dass dieser Boden der Gemeinde gehöre und dass weder etwas im Grundbuch stehe noch diese Personen registriert seien.[19] Aus Angst, vor internationalen Konsequenzen, nähmlich, dass man sie anschuldigen könnte, das Dayton Abkommen nicht einzuhalten, ist es jedoch unmöglich eine schriftliche Bestätigung zu erhalten.
Heute leben in Doboj viele serbische Flüchtlinge aus allen Teilen der Föderation. Manche wohnen in muslimische Häusern. Aus Angst vor Vergeltung wollen sie in ihre ursprüngliche Heimat nicht zurückkehren. Bis heute sind auch nur wenige aus der Föderation zurückgekehrt. Gerade 15 Bsoniaken, meist ältere Leute, wohnen wieder in Doboj. Bei den Rroma, - wovon es in Doboj früher zwei Gruppen gab - Arlii und Gurbeti - sind 15 Personen Arlii und 6 Gurbeti-Familien zurückgekehrt. Sie leben unter sehr schwierigen Umständen. Das Misstrauen und die Angst unter den Nachbarn ist gross. Man spricht nicht miteinander. Vor allem in der Nacht herrscht eine eigenartige Ruhe und die Lage ist angespannt.
Der Autor persönlich konnte sich ein Bild machen, was es heisst, in der Abenddämmerung von zwei unbekannten Männern beobachtet zu werden. Unendlich lange leuchteten die Scheinwerfer des Autos auf den kleinen Vorgarten des älteren Rroma-Ehepaars. Sofort wurde die Musik aus dem Radiorecorder ausgeschaltet und eine eigenartige Ruhe kehrte ein. Erst nach etwa eine Stunde war der Spuk vorbei.[20]
Die Rückkehrer sind nur geduldet und haben keine Rechte. In der Strasse Beslagies Prilaz und Trebavska lebten früher 200 Arlii-Rroma. Der grosse Teil der 15 Häuser sind kaum bewohnbar. Die Gruppe war früher wohlhabend und hatte eigene Geschäfte. Gerne wollte die Familie E. wieder ihr Geschäft eröffnen, doch haben es ihr die Stadtbehörden nicht erlaubt. Der 50jährige Salko E. ist schwer krank und braucht regelmässig Medikamente. Ihm sind die ärztlichen Institutionen in der Stadt versperrt. Er musste bis nach Tuzla fahren, um dort im Spital operiert zu werden. Jetzt habe er kein Geld mehr und könne sich die Reise und die Medikamente nicht mehr leisten.
Weiter oben auf dem Hügel an der Beslagica Brdo befindet sich die eigentliche Rroma-Mahala (Mahala = Bezeichnung für ein Quartier aus der osmanischen Zeit, das von einer ethnischen oder bestimmen religiösen Gruppe bewohnt wird). Die 32 Häuser sind bis auf die Grundmauern zerstört. Gezwungenermassen sind einzelne Familien zurückgekehrt und hausen jetzt in den kaum bewohnbaren Ruinen. Mit Plachen und Plastik versuchen sie sich einigermassen zu schützen. Sie haben Geld gesammelt für die Entsorgung des Schuttes, doch bis heute passierte nichts. Die örtliche Flüchtlingshilfe fühlt sich nur für die Bosniaken verantwortlich. In den Gesprächen mit den Betroffenen ist immer wieder von Korruptionsvorwürfen zu hören. Hilfe erhält nur derjenige, der Geld hat.
Bei eigenen Aufräumarbeiten haben die Rroma zerschossene Granaten und Minen entdeckt. Aus Angst vor noch funktionierenden Minen haben sie die Arbeit eingestellt. Hätten die Familien andere Wohnalternativen im Land, wären sie längstens weggezogen.
4. Zusammenfassung
Mit der Wahl des Bürgermeisters Nikola Gavric von der Karadizic-Partei SDS im April 2000 in Doboj, zeigt sich wieder einmal mehr, dass die serbischen Bewohner der Stadt kein Interesse haben, dass andere Volksgruppen zurückkehren. Die Politik des Bürgermeisters ist sehr nationalistisch. Viele Zeugen und überlebende Opfer berichten über seine aktive Teilnahme an der Vertreibung der Nichtserben aus Doboj und an die Verbrechen, die an ihnen während des Krieges begangen wurden.
Wie schwierig eine Rückkehr noch ist, zeigt der Fall von der Ortschaft Kotorsko, das zur Gemeinde von Doboj gehört. Die örtlichen Behörden haben die Grundstücke der Bosniaken, Kroaten sowie Rroma konfisziert und an die nicht rückkehrwilligen serbischen Flüchtlinge vergeben, die sofort mit dem Hausbau beginnen konnten. Die eigentlichen Bewohner von Kotorsko haben daraufhin vor dem Sitz des Hohen Repräsentanten von Bosnien-Herzegowina (OHR) in Sarajewo tagelang protestiert und forderten der Stopp des Häuserbaus und die Rückgabe der Grundstücke. Die Protestierenden konnten jedoch nur erreichen, dass das OHR der lokalen Behörden von Doboj ein Empfehlung geschickt hat, worin gebeten wurde, die Vergabe von Grundstücken vorübergehend zu stoppen und abzuklären, ob diese Handlung legal sei.[21]
In der Nacht auf den 19. August 2001 wurden die Rückkehrer von der Ortschaft Kotorsko, die zur Gemeinde Doboj gehört, von serbischen Nationalisten überfallen. Die Fenster wurden mit Steinen beworfen und die zurückkehrenden Bewohner wurden vom Mob bedroht, dass sie die Häuser zerstören werden.[22]
Dies ist ein Grund, warum die meisten Vertriebene Angst haben, überhaupt nach Doboj zu fahren. Viele Verbrecher in der Stadt sind immer noch auf freiem Fuss. Doboj gehört zu den Städten in der Republika Srpska , die nur eine sehr kleine Zahl an Rückkehren aufweisen.
5. Modrica
Im Sommer 2000 kehrten die ersten vertriebenen Rromafamilien auf eigene Faust nach Modrica zurück, das im serbischen Teil Bosniens-Herzegowinas liegt. Unter armseligen Verhältnisse und Bedingungen liessen sie sich ausserhalb der Stadt nieder, wo sie auch vor dem Krieg ansässig waren. Im Gegensatz zu den anderen Regionen in der Republika Srpska haben hier keine grössere Massaker statt gefunden. Abgesehen von einzelnen Morden wurde die nichtserbische Bevölkerung bereits am Anfang des Krieges vertrieben. Die Häuser der Vertriebenen wurden jedoch völlig zerstört. Auch die kleinen Steinhäuschen der Rroma sind dem Erdboden gleichgemacht worden. Die auf einem Hügel gelegene Rroma-Siedlung Strazevac ist heute nur mit einem Schotterweg verbunden. Bei starken Regenfällen ist der Weg mit Fahrzeugen unpassierbar. Elektrizität und Wasseranschlüsse gibt es keine.
Zurück nach Modrica bedeutet für die Rroma kein Wasser, keine Elektrizität, keine Entsorgung etc.
Die Rroma sind völlig auf sich gestellt. Das für den Wiederaufbau der Häuser erforderliche Material suchen sie sich von den Schutthalden zusammen. Die meisten Rroma wohnen mit ihren Kindern in Bretterverschläge, die provisorisch mit Plastikplanen übedacht wurden.
Die lokalen Behörden haben kein Interesse, den Rroma in irgendeiner Form behilflich zu sein. Die Rroma werden einfach aufgefordert, sich an die eigene Organisationen zu wenden. Diese sind jedoch so gut wie gar nicht existent.
Am 2. Dezember 1998 hatten sich in den Flüchtlingscamp der Föderation die Rroma aus Modrica zusammen getan und den Verein „Crni Biser“, zu deutsch „Schwarze Perle“ gegründet. Heute versucht das Gremium die Interessen und Belange der Rroma bei Behörden und humanitären Einrichtungen zu vertreten. Ihr derzeitiger Vorsitzender ist Sevko Tahirovic und wohnt in Modricki Lug. Er verfügt jedoch weder über ein Telefon noch über andere Kommunikationsmittel. Seine Korrespondenz wickelt er über die englische Organisation „Save the children UK“ in Banja Luka ab. Eine Anfrage im August letzten Jahres an das Open Society Institute in Budapest für die Anschaffung einer Büroeinrichtung blieb bis heute unbeantwortet.[23]
Die Rroma-Organisation spricht immer wieder davon, wie sie von Behörden und anderen Organisationen übervorteilt und bewusst ausgegrenzt wird. So hat beispielsweise ein muslimischer Verbindungsmann zu einer privaten Gönnerin in Deutschland, die Rroma aus der Liste für Wiederaufbaumaterial gestrichen und stattdessen muslimische Bosniaken darin aufgeführt. Auf Anfrage berichtete die Gönnerin, dass sie von der bosniakischen Seite informiert worden sei, dass prozentual für die Rroma genug gemacht worden sei.[24]
Im Gewirr den unzähligen privaten und staatlichen Hilfsorganisationen ist es sehr schwierig auszumachen, was gerade läuft. Es fehlt an gezielter Koordination und viele Gelder versinken in dunklen Kanälen.
Am besten funktionieren direkte Kontakte. Der Dürener Freundeskreis für Gradacac in Deutschland wurde auf die spezielle Lage der Rroma in der Region aufmerksam. Mit einem privaten Transport konnten der deutsche Verein in der Siedlung Strazevac einen Stromaggregat überführen. Dank der unbürokratischen Mithilfe der in Modrica tätigen CIMIC-Kompanie, einer technischen deutschen Bundeswehreinheit, haben jetzt doch wenigstens einige Familien Strom.[25]
Trotz diesen kleinen Erfolgen sind die Lebensumstände der Rückkehrer katastrophal und hoffnungslos.
6. Modricki Lug
Modricki Lug gehört zur Gemeinde Vukosavlje und wurde von den Serben neu in Brezik umbenannt. Die Streusiedlung ist etwa 7 km von Modrica entfernt. Durch gezielte Aktionen wurde die Ortschaft durch serbische Einheiten während des Krieges völlig zerstört. Was übriggeblieben ist, sind Ruinen im Niemandsland. Mit der ersten Rückkehr der Rroma vor einem Jahr ist wieder Leben eingekehrt. Doch dieses ist mit Risiken verbunden. Nicht weit zur Grenze an der Föderation befinden sich immer noch Minenfelder. Ihre Folgen können noch heute verheerend sein, und sie verursachen enorme soziale Kosten. Immer noch müssen ganze Landstriche an den künstlichen Grenzen entmint werden. Der Strassenverkehr wird immer wieder durch die Aufräumarbeiten behindert.
In Modricki Lug leben heute 38 Familien. Neben den alteingesessenen Familien sind neue hinzu gekommen. Sie hatten ihre früheren Wohnort direkt im Zentrum von Modrica. Entweder können sie dorthin nicht zurück, weil serbische Familien jetzt dort leben oder weil Angst und Misstrauen gegenüber den Serben immer noch gross ist. Die Rroma ziehen es daher vor, in den mit Holz und Plastik selbst gebauten Unterkünften der Nähe ihrer Verwandten zu leben.
Die wirtschaftliche Lage des Dorfes ist katastrophal. Der Verdienst beläuft sich höchstens auf KM 5.- pro Tag. Ohne Transportmittel ist die Möglichkeit eine Arbeit oder Verdienst zu finden gleich null. Die schleichende Verelendung nimmt zu, auch bei denjenigen, die vorher recht viel Geld gespart hatten. Familie A. ist vor drei Jahren nach Bonsien-Herzegowina zurückgekehrt. In Deutschland hat sowohl der Vater wie auch die Mutter gearbeitet. Nach der Rückkehr lebten sie in einem serbischen Haus in Srnice, in der Nähe der Stadt Gradacac. Damals waren sie noch voller Hoffnung, etwas auf die Beine stellen zu können. In Arizona, ein riesiger Markt im Norden Bosniens, eröffneten sie ein kleine Imbissbude. Das Geschäft lief jedoch harzig und die hohen Kosten konnten sie nicht mehr tragen. Auch die Idee, WC-Häuschen zu bauen und zu unterhalten, musste die Familie aufgeben. Die Konkurrenz erkannte das Geschäft und verdrängte die Rroma ins Abseits. Das Haus in Srnice mussten sie kurz daraufhin verlassen. In Modricki Lug kaufte dann schliesslich Herr A. etwas Land. Seinen Traum, ein stattliches Haus für die ganze Familie aufzubauen musste er aber schnell begraben. Jetzt wohnt er in der hölzerne Imbissbude gegenüber der Bauruine. Mit dem Verkauf von Getränken im Dorf kann er sich kaum über dem Wasser halten, da die meisten Bewohner auf Kredit einkaufen.
Ein weiteres Indiz von Verarmung ist im Gesundheitssystem erkennbar. Da kein Geld vorhanden ist und die Siedlung recht abgelegen ist, ist ein Arztbesuch praktisch unmöglich. Von Januar bis Juli dieses Jahres sind bereits fünf Personen an Krankheiten wie zum Beispiel Lungenentzündungen gestorben.
7. Schule
In Modricki Lug sind etwa 50 Rroma-Kinder schulpflichtig. Zur Zeit geht niemand zur Schule. Dies hat mehrere Gründe: Auf der eine Seite ist es verfrüht, die Kinder bereits in serbischen Schulen zu schicken. Angst und Misstrauen sind noch zu gross. Auf der andere Seite müssten die Kinder in die Föderation zur Schule gehen, die mindestens 15 km entfernt sind. Transportmöglichkeiten gibt es keine. Auch das Geld für Schulmaterial fehlt. Eltern erzählen zudem, dass ihre Kinder oft gehänselt und ausgegrenzt werden.
Auf Initiative der Rromavereinigung „Schwarze Perle“ soll die ehemalige Grundschule (1. bis 4. Klasse) in Modricki Lug wieder eröffnet werden. Das Schulgebäude befindet sich unweit der Rroma-Siedlung und hat zwei Klassenräume, einen Mehrzweckraum, ein Büroraum sowie die nötigen Sanitäreinrichtungen. Mit Hilfe der amerikanischen Hilfsorganisation USAID wurde das Gebäude restauriert. Bis auf die fehlenden Schulmöbel wäre ein Schulbetrieb möglich.
Die serbischen Behörden wären zwar bereit, zwei serbische Lehrerinnen zur Verfügung zu stellen, doch für die Inneneinrichtung der Klassenräume inklusive Wandtafel fühlen sie sich nicht verantwortlich.
8. Zaghafter Wiederaufbau
Die seit 1993 in Bosnien tätige amerikanische Organisation Catholic Relief Services (CRS) ist auf die Problematik der Rroma in Modricki Lug aufmerksam geworden. Mit ihrer Hilfe konnten dreizehn Rroma-Häuser aufgebaut werden. Voraussetzung dafür waren, dass die Besitzverhältnisse klar geregelt waren und ein offizielles Dokument vorhanden sein musste. Dies ist jedoch nicht immer so einfach, da die Rroma zwar den Boden vor dem Krieg gekauft hatten, das Heim jedoch in eigener Regie aufbauten.
Zur Zeit kann CRS keine weiter Häuser aufbauen, da die finanziellen Mitteln fehlen. Auch beim Wiederaufbau passierte Ungereimtes: Betroffene berichteten, dass der örtliche Mitarbeiter Geld in der Höhe von DM 500.- verlangt hatte, damit das Haus schneller aufgebaut werden könne, andernfalls hätten sie mindestens ein Jahr zu warten. Viele Familen warten daher immer noch in ihren Ruinen und Bretterverschlägen auf den Wiederaufbau. Die Überschwemmungen im Juni dieses Jahres haben noch zusätzliche Schäden im Dorf verursacht.
Mit verschiedenen Programmen versucht die amerikanische Organisation auch den Dialog zwischen den Volksgruppen zu fördern. Dies ist sehr schwierig, weil das Misstrauen sehr gross ist. Das politische System ist weiterhin sehr problematisch. Wenigstens blockiert der serbische Bürgermeister die Arbeit nicht. Der schwierigste Punkt in der Umsetzung des Dayton Abkommens ist nach wie vor die Sicherheit betont der Leiter, Graham Saunders, von CRS. Das Hauptproblem ist die Hoffnungslosigkeit.[26]
Auch der Vorsitzende des Düreners Freundeskreis für Gradacac und Bosnien e. V., Hans-Josef Schmitz, spricht von einer immer stärker werdende Depression in der Region. Kein einziger blickt in eine hoffnungsvolle Zukunft. Die meisten leben in den Tag hinein und keiner weiss so richtig, wie es morgen weitergeht. Die Enttäuschung der Bevölkerung ist gross.[27]
IV. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
Die politische und ökonomische Situation in Bosnien-Herzegowina hat sich auch nach sechs Jahren nach dem Dayton-Abkommen nicht wesentlich verbessert. Obwohl nicht weniger als 16 internationale Menschenrechtsabkommen – darunter die Europäische Menschenrechtskonvention – in das Friedensabkommen integriert worden sind und direkt als staatliches Recht in Bosnien anwendbar sein sollten, ist der Staat ohne fremde Hilfe noch lange nicht regierbar. Immer noch ist die Realität der Diskriminierung auf der Basis von Ethnizität, vor allem seitens der Serben und der Kroaten, an der Tagesordnung. Die Rückkehr von Vertriebenen hat zwar zaghaft begonnen, wird aber weiterhin massiv behindert. Die OSZE verfügt mit 30 im ganzen Land verteilten Human-Rights Officers über die grösste Menschenrechts-Präsenz auf dem Feld. Ihr besonderes Augenmerk gilt den für die Rückkehr entscheidenden Eigentumsfragen, doch ist ihre Macht rein informell.[28]
Obwohl die internen Grenzkontrollen durch die SFOR abgenommen haben, ist das Land immer noch de facto in drei Teilen geteilt mit drei verschiedenen Verfassungen.
Die Bevölkerungsstruktur in Bosnien-Herzegowina wird nie mehr so sein wir vor 1992 – Die Zahl der Vertriebenen und Flüchtlinge im Land ist praktisch gleich gross geblieben, dies auch dadurch bedingt, das Flüchtlinge aus dem Ausland zurückkehren mussten. Dabei ist der muslimische Teil der Föderation weiterhin mit den meisten Vertriebenen überfüllt. Sie haben weder ein festes Einkommen, noch eine gesicherte Unterkunft und somit auch kein Anrecht sich an einer Wohngemeinde anzumelden und sich registrieren zu lassen. Darüber hinaus bekommen sie keine gesicherte medizinische Versorgung und kein Rente. So bleibt den Binnenflüchtlinge nichts anderes übrig, trotz ungenügender Sicherheit und fehlenden Ressourcen, zu versuchen auf eigene Faust an ihren Herkunftsort zurück zu kehren oder ins westliche Ausland zu fliehen.
Hinzu kommt die katastrophale ökonomische Situation. Viele Arbeitnehmer müssen monatelang auf die Zahlung ihres Arbeitslohnes warten. Selbst Staatsangestellte machen diese leidige Erfahrung. Auch von einem funktionierenden Sozialsystem kann niemals die Rede sein. Alles muss selbst bezahlt werden. Neben der fehlende Arbeit macht sich eine perspektivlose Stimmung breit.
Im Gegensatz dazu steht der häufig nach aussen getragene Reichtum durch Kriegsgewinn und Korruption einer kleiner Minderheit, die bis in die Regierungen hinein reicht. Auch eine gewisse Unzufriedenheit gegenüber den internationalen Organisationen ist auszumachen. Dabei sind vor allem die überhöhten Personalkosten für die Mitarbeiter ein Dorn im Auge der Bevölkerung.
Unter diesen Umständen trifft es die Rroma besonders schwer. Durch anhaltenden Nationalismus und Misstrauen gegenüber den anderen Voksgruppen ist die ethnische Ausgrenzung der Rroma heute viel schärfer ausgeprägt als vor dem Krieg.
Offiziell gibt es zwar keine Diskriminierung doch de facto sind die Rroma jeglicher Schikanen und Diskriminierung ausgesetzt. Als grösste ethnische Gruppe unter den Minderheiten tauchen die Rroma nicht in der Verfassung auf und können so nicht auf das Recht auf die Anerkennung ihrer Sprache und Kultur rechnen. In der Mehrheitsbevölkerung werden sie nicht als gleichberechtigt betrachtet. Dementsprechend niedrig ist die gesellschaftliche Position. Ohne Zugang zur Ausbildungsmöglichkeiten ist es für jeden Rroma unmöglich, eine Arbeit zu finden und sich in die Gesellschaft zu integrieren. Durch das Ignorieren und das bewusste ausgrenzen durch die Behörden, wird den Rroma zusehends jegliche Lebensgrundlage entzogen. Ihnen bleibt als Überlebensweg nur das Bettlerdasein oder der Abstieg in ein illegales Leben. Infolge der zunehmenden Verelendung sind besonders die Kinder und Jugendlichen, worunter es viele Rroma hat, bedroht, einem enormen Gewalt- und Missbrauchspotential ausgesetzt zu werden.[29]
1. Was tut die Schweiz?
Anlässlich der 5. Jahreskonferenz der schweizerischen Ostzusammenarbeit vom 7. November 2000 in Bern, haben die Teilnehmenden eine nüchterne Bilanz zu Bosnien-Herzegowina gezogen. Zwar wurde das Engagement der Schweiz in der Region als gross bezeichnet, doch herrschte die Einigkeit, dass die enorme Problembewältigung nur durch die gewählten Volksvertreter geschehen könne. Bosnien-Herzegowina brauche den politischen Willen, das Vertrauen zwischen den Ethnien wiederherzustellen. Einige Fortschritte, wie die grössere Bewegungsfreiheit für die Bevölkerung, konnten zwar festgestellt werden, doch die Wahlen von nationalistischen Vertretern in der Republika Srpska und der kroatischen Herzegowina im letzten April zeigte es offensichtlich, wie weit entfernt das Land noch ist, ein stabiler Staat zu werden.
In einer Debatte mit Jasna Zecevic, der Leiterin von Vive Zene, ein Zentrum für kriegstraumatiserte Frauen und Kinder in Tuzla, kamen in diesem Zusammenhang auch Zweifel auf , ob das Ausland die Rückkehr der Flüchtlinge nicht zu hastig vorangetrieben hat.
Ein weiteres Engagement der Schweiz vor Ort ist sicher weiterhin sehr begrüssenswert und von grosser Wichtigkeit, doch zusammen mit den ausländischen Vertretern wird ihre Präsenz im Land auch in Zukunft kaum Einfluss auf die politische und soziale Entwicklung Bosnien-Herzegowinas haben, geschweige denn, weitere chauvinistische Übergriffe gegenüber Minderheiten verhindern können.
An der Jahreskonferenz ist auch wieder einmal mehr aufgefallen, dass nur von drei Volksgruppen die Rede war. Die Situation für die in Bosnien lebenden Rroma wurde nicht mit einem Wort erwähnt. Nur gerade in einem kurzen, persönlichen Gespräch des Autors mit dem ehemaligen Administrator der EU in Mostar, Hans Koschnick, wurde das Thema aufgegriffen. Die Bemerkung von Herrn Koschnick: den Rroma geht’s am schlechtesten, sie seien schlicht vergessen worden.
Diese Haltung widerspiegelt die grundsätzliche Haltung der internationalen Gemeinschaft gegenüber dieser Minderheit in Bosnien. Es kann von einer gewissen Gleichgültigkeit gesprochen werden.
2. Repatriierungsfrage der Rroma-Flüchtlinge
Ähnliches kann man auch hinsichtlich der Repatriierung von Rroma-Flüchtlinge nach Bosnien-Herzegowina feststellen. In der Schweiz herrscht immer noch fälschlicherweise die Vorstellung, dass es bei den Rroma um „Fahrende“ handelt. Dabei sind gut 98 % dieser Ethnie sesshaft.
In den Urteilen vom Bundesamt für Flüchtlinge (BFF) und von der Asylrekurskommission wird zwar auf die schlechtere Lage der Rroma hingewiesen, ansonsten wird Bosnien-Herzegowina de facto als „save country“ behandelt und es sei zumutbar diese Leute zurück zu schicken. Dass die Bedingungen für eine Rückkehr in die Republika Srpska noch nicht geschaffen sind oder nur zögerlich vorankommen scheint in der Zwischenzeit auch den Schweizer Flüchtlingsbehörden bekannt zu sein. Als neues Argument wird nun den Rückkehrern die Möglichkeit eingeräumt, sich irgendwo in Bosnien-Herzegowina niederlassen zu können. De facto heisst das, Flüchtlinge aus der Republika Srpska müssen in den bereits überfüllten muslimischen Teil der Föderation zurück. Dies ist ein klarer Hinweis, dass die Behörden davon ausgehen, dass das Dayton Abkommen nur schleppend oder gar nicht funktioniert. Das Schlimme dabei ist, dass mit dieser Politik die „ethnischen Säuberungen“ untermauert werden. Des weiteren fehlen in den Beurteilungen eine differenzierte Position zu der spezifischen Problematik der Rroma. Vermisst wird bis heute auch das Zugeständnis, dass traumatisierten Flüchtlingen, ehemaligen Lagerhäftlingen und Opfern von Gewalttaten keine Rückkehr zugemutet werden kann.
3. Schlussfolgerungen
Leider macht sich zunehmend ein allgemeines Desintresse für Bosnien-Herzegowina breit. Gelder für Wiederaufbau- und Reintegrationsprojekte werden nur noch zögerlich eingesetzt (u. a. wegen den mafiösen Strukturen im Land). Resignation und Hoffnungslosigkeit prägen auch internationale Organisationen und Hilfswerke. Bosnien ist aus den Schlagzeilen verschwunden, ein Rückzieher wäre jedoch für die Gegend fatal.
Aus diesem Grund wäre es weiterhin begrüssenswert, dass sich die Schweiz in Bosnien-Herzegowina engagiert. Neben der Hilfe für Wiederaufbau und Reintegration, sollte unbedingt geprüft werden, inwieweit die Wirtschaft im Land gefördert werden kann und neue Arbeitsplätze geschaffen werden können. Denn in einem stark angespannten wirtschaftlich-sozialen Klima ist die Gefahr gross, dass es zu neuen schweren Diskriminierungen gegen ethnischer Gruppen kommt.
In diesem Zusammenhang gilt es besonders die Rroma, als eine ethnische Gruppe in Bosnien-Herzegowina miteinzubeziehen. Es ist hier zu betonen, dass die Rroma keine Priveligierung wollen, sondern nur Anerkennung und die gleichen Rechte wie die Mehrheitsbevölkerung. Dies ist ein langwieriger Prozess, der Jahre dauern kann. Was die Rückführung von abgewiesene Rroma-Asylbewerber aus Bosnien-Herzegowina in der Schweiz anbelangt, so ist massgebend, aus welcher Gegend die Flüchtlinge stammen. Insbesondere gilt es zu beachten, dass vor allem rückkehrende Rroma aus der Republika Srpska in existenzbedrohenden wirtschafliche Verhältnisse leben müssten, deren Schwierigkeiten weitaus grösser sind, als diejenige der übrige Bevölkerung. Auch hat sich gezeigt, dass Rückkehrer vielfach nicht auf die Hilfe ihrer Familien zählen können, da diese selbst Vertriebene sind und unter dem Existenzminimum leben. Im Gegenteil ist es so, dass die verbliebenen Familien auf die Unterstützung der Rückkehrenden aus dem “reichen Westen” rechnen. Hinzu kommt, dass für Rroma praktisch keine andere inländische Zufluchtsmöglichkeit besteht, da die Gemeinden grundsätzlich kein Interesse haben, Rroma aufzunehmen.[30]
In diesen Fällen kann man von einer Unzumutbarkeit der Wegweisung sprechen und es empfehlt sich, jene Roma vorläufig aufzunehmen.[31] Dies sollte auch jene Asylsuchende Rroma treffen, die erst nach zwei bis drei Jahre nach dem Dayton-Abschluss in die Schweiz fliehen konnten. Denn während dieser Zeit waren Rroma immer noch an Leib und Leben bedroht. Typisch dabei war, dass die vertriebenen Rroma nur an den verminten Grenzen leben durften und sich so immer noch in einer lebensbedrohenden Situation befanden. Denn die Realität nach Dayton zeigte, dass es immer wieder massive Übergriffe auf Angehörige von Minderheiten in allen Teilen Bonsiens gab, auch in den Städten unter bosniakischer Kontrolle.[32] Die Problematik der Rroma wurde im Dayton-Vertrag nicht berücksichtigt. Für sie ging die Vertreibung weiter. Aus Doboj wurden noch 1996 mehrere Rroma Familien vertrieben.[33]
[1] International Herald Tribune, Bosnia’s Fraying Peace by R. Jeffrey Smith, Washington Post Service, June 28, 2001
[2] Der Bund, Kein Grund zum Jubel, Kommentar von Norbert Mappes-Niediek, 10. April 2000
[3] Gemäss Angaben des Office of the High Representativ (OHR) beläuft sich die Anzahl der intern Vertriebene auf 519'000. Die Dunkelziffer ist jedoch viel höher, so dass man von einer Zahl zwischen 845'000 und 870'000 ausgehen kann.
[4] OHR, Press Release from 12 July 2001
[5] Bosnia and Herzegovina: Selected Economic Indicators, Information durch Herrn Wilhelm Schmid, Botschafter der Schweizer Botschaft, 13. Juli 2001
[6] 5.Focus Osteuropa Jahreskonferenz, 7.11.2000, Faszit des Wirtschaftsexperten Norbert Feldhofer
[7] National Bank of Bosnia and Herzegovina (NBBiH); IMF; USAID; OHR
[8] Anfrage an Jasna Zecevic, Vive Zene, vom 13.2.2001. Frau Zecevic war auch zu Gast bei der 5. Focus Osteuropa Jahreskonferenz vom 7.11.2000
[9] Gemäss Gespräch mit Herrn M.Saric, Medunarodna Organizacija za Migracije IOM, Sarajevo, 20.7.2001.
[10] Brigitte Mihok: Zurück nach Nirgendwo, II. Möglichkeiten und Grenzen der Repatrieerung; Die Negation einer ethnischen Gruppe, S. 42, Metropol-Verlag Berlin 2001
[11] Gespräch mit Fadila Memisevic, Leiterin der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) Bosnien-Herzegowina, Sarajewo, 13.7.2001
[12] F. Memisevic, Belma Zulcic, GfbV BiH, 13.7.2001. Um welche Firma es sich handelt, konnte leider nicht eruiert werden.
[13] Brigitte Mihok: Zurück nach Nirgendwo, Möglichkeiten und Grenzen der Repatriierung; Von der verbalen Gleichstellung zur faktischen Ausgrenzung, S. 43, Metropol-Verlag Berlin 2001
[14] Frankfurter Allgemeine Zeitung, Ein Häuschen im Minenfeld, Bericht von Peter Carstens, 3. März 1999, S. 8
[15] Tuzla Roma Association “Sa e Roma”, Roma Bulletin, März 2000, S. 2
[16] Gespräch mit Herrn W. Schmid, Botschafter der Schweizer Botschaft, 13.7.2001
[17] B. Mihok: Zurück nach Nirgendwo, Die Negation einer ethnischen Gruppe, S. 43
[18] Am 10.08.2001 wurde in Sarajewo ein entsprechendes Protokoll zur Unterbindung von Bettlerei im Kanton Sarajewo unterzeichnet.
[19] Anfrage am 16.7.2001
[20] Nacht vom 15. auf 16.7.2001, ca. 21.15 Uhr
[21] Belma Zulcic, GfbV BiH, Sarajewo
[22] Abendnachrichten Bosnisches Fernsehen (BTV) vom 19. August 2001; eine ähnliche Aktion fand gleichzeitig in Janja bei Srebrenica statt.
[23] Mit einem Schreiben von der OSI Budapest, Roma Participation Program, vom 28.8.2000 erhielten die Rroma von Modrica lediglich die Bestätigung, dass sie über eine Antwort des Gesuches unterrichtet werden.
[24] Anfrage vom 17.7.2001
[25] Dürener Freundeskreis für Gradacac und Bosnien e. V., Pressebericht vom 12.8.2001
[26] Gespräch am 13.7.2001 in Sarajewo.
[27] Gespräch am 18.7.2001 in Modricki Lug
[28] NZZ, Marcel Stoessel, Harzende Demokratisierung in Bosnien und Herzegowina, 24./25.2.2001 – Nr. 46, S. 5
[29] vrgl. Jahresbericht IHF 2001
[30] B. Mihok: Zurück nach Nirgendwo, S. 47
[31] Gutachten von Prof. Dr. Walter Kälin zur flüchtlingsrechtlichen Situation asylsuchender Roma und Aschkali in der Schweiz, 27.11.1999, S. 31ff und S. 37
[32] Stephan Müller, Politikwissenschaftler am Ludwig Botzmann Institut für Menschrechte in Wien: Vortrag über Situation der Rroma nach dem Dayton-Abkommen in Graz, 25.6.1997; vergl. auch Human Rights Watch/Helsinki, Bsonia-Hercegovina. Update: Non-Compliance with the Dayton Accords, August 1996 Vo. 8, No. 12 (D)
[33] Helsinki Committee for Human Rights in Bosnia and Herzegovina, Status of Roma in parts of Bosnia and Herzegovina, No: 16A-10/96
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